Der Einfluss von Wetter, Schlaf und Krankheit auf die Verkehrssicherheit
Fast jeden Tag wird in den Medien über schwere Verkehrsunfälle berichtet mit Toten und Verletzten. Im ersten Moment ist man betroffen von dem traurigen Geschehen. Doch das hält nicht lange an. Mir passiert das nicht, ich bin ein sicherer Fahrer, denken die meisten. Kaum einer hinterfragt dabei sein eigenes Fahrverhalten. Grund genug, immer wieder auf die möglichen Gefahren im Straßenverkehr aufmerksam zu machen, um die Zahl der Toten und Schwerverletzten weiter zu senken und in ferner Zukunft sogar auf Null zu bringen.
Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat (DVR) hat diese Maxime auch zur Grundlage seines Handelns gemacht. Regelmäßige Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über alle Einflussfaktoren, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen, ist für ihn ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Die Einbeziehung der Medien ist ihm dabei sehr wichtig. So veranstaltet der DVR zweimal im Jahr Presseseminare, um gebündelt Erkenntnisse und Untersuchungsergebnisse der Wissenschaft möglichst schnell in die Breite zu tragen.
Zum Sommerseminar 2017 hatte er diesmal Journalisten nach Marburg an der Lahn geladen.
Eine Stadt, die mit ihrem mittelalterlichen Kern, dem markanten Schloss, den alten Kirchen, Fachwerkhäusern und schmalen gepflasterten Gassen eine bezaubernde Atmosphäre verbreitet und in der vor allem viele Studenten das pulsierende Leben der Stadt prägen.
Ein schöner Hintergrund für die Veranstaltung. „Fit genug für den Straßenverkehr?“ – das war die zentrale Fragestellung des Seminars. Erörtert wurde von den Experten der Einfluss von Wetter, Schlaf, und Erkrankungen auf die Verkehrssicherheit.
Fahren bei Wind und Wetter
Über die vielfältigen Auswirkungen von tagesaktuellem Wetter und langfristigem Klima auf den Organismus informierte der Meteorologe Prof. Andreas Matzarakis vom Deutschen Wetterdienst.
Niemand kann sich dem Wetter entziehen. Die atmosphärischen Zustände wirken auf Haut, Atmung und Kreislauf. Sie werden unterschiedlich wahrgenommen. Das hängt von der körperlichen und psychischen Verfassung des Einzelnen ab. Besonders bei extremen Wetterlagen – Hitzewellen, feucht- schwüle Luft – sind Kranke, Kinder und ältere Menschen besonders gefährdet. „Im Anmarsch solcher Wettersituationen warnen wir diese Hochrisikogruppen und geben ihnen Verhaltensempfehlungen“, berichtete der Meteorologe.
Im Sommer ist die Gefahr intensiver UV-Strahlung besonders groß. Auch davor warnt der Deutsche Wetterdienst. Doch viele unterschätzen das Risiko, an Hautkrebs zu erkranken. An Tagen mit hoher Strahlungsintensität aber sollte jeder zwischen 10 Uhr und 15 Uhr die Sonne meiden.
Im ständigen Blickfeld ist außerdem die Pollensituation. Mit ihren Vorhersagen kann sich jeder, der an einer Pollenallergie leidet, mit Medikamenten darauf einstellen. Regelmäßig untersucht wird ebenfalls die Luftqualität. Gemessen wird die Ozonkonzentration, die Belastung mit Feinstaub und Stickoxiden. „Liegen erhöhte Werte vor, schlagen wir Alarm“, so Prof. Matzarakis.
Unfallhoch im Sommer
„Je schöner desto schlechter?“ – so titelte Dr. Hartmut Kerwien, vom Institut für angewandte Verkehrspädagogik seinen Vortrag. Er untersuchte aus der Sicht des Psychologen die Auswirkungen des Wetters auf die Verkehrssicherheit.
Die Zahlen der Unfallstatistik sprechen eine eindeutige Sprache. In den Monaten Mai bis September ereignen sich die meisten Unfälle. Sicher ist die Mobilität in dieser Zeit besonders hoch – mehr Motorräder, mehr Fahrräder.
Dr. Kerwien legt den Schwerpunkt auf das individuelle Verhalten der Verkehrsteilnehmer, wie sie bestimmte Wettergefahren wahrnehmen, einschätzen und bewerten. Wie reagiert der Einzelne auf Gefahrensituationen? Glaubt er, alles unter Kontrolle zu haben oder hat er Angst, dass eine kritische Situation eintritt? Sind ihm die Gefahren bewusst und weiß er damit umzugehen? Von der Antwort auf diese Fragen hängt ab, wie jeder das aus der Gefahr resultierende Risiko beurteilt und in seine Handlungsentscheidungen einfließen lässt, so der Psychologe.
Die subjektive Risikowahrnehmung und Risikobewertung wetterbedingter Einflussfaktoren stimmt nicht immer mit der Realität überein. Schnee- und Eisglätte schätzen die meisten Verkehrsteilnehmer als die häufigste Unfallursache ein. In Wirklichkeit – laut Statistik – ist es Regen und Nässe. Auch blendende Sonne wird meist unterschätzt. Dadurch gibt es aber mehr Verunglückte als bei Nebel, Hagel und Schneegestöber. Bestimmte Wettersituationen – hohe Temperaturen, schnelle Luftdruck- und Temperaturwechsel – können die Stimmungen und Befindlichkeiten des Einzelnen stark beeinflussen. Sie fühlen sich durch das Wetter gestresst und gereizt, fahren dann unkonzentriert oder auch aggressiv.
Die schlaflose Gesellschaft
Neben dem Wetter war das Thema Schlaf ein weiterer Schwerpunkt des Seminars. Vom Interdisziplinären Schlafzentrum des Pfalzklinikums Klingenmünster war Dr. Hans-Günter Wees angereist. Seine Ausführungen unter dem Titel „Die schlaflose Gesellschaft“ – Wie der Schlaf die Leistungsfähigkeit und Verkehrssicherheit beeinflusst – ließen aufhorchen.
Ausreichend Schlaf ist für die Gesundheit und Leistungskraft unabdingbar. Doch vielfach beendet der Wecker das persönliche Schlafprogramm frühzeitig. Das natürliche Schlafbedürfnis stimmt mit den Anforderungen der modernen Industriegesellschaft nicht überein, in der Schlaf eher verpönt ist, stellt Dr. Wees fest.
Für zwei Drittel beginnt die Arbeit und die Schule zu früh. Chronischer Schlafmangel aber führt zu Leistungseinbußen am Tage und verursacht Schlafstörungen. Sie nehmen immer mehr zu. Eine Studie offenbart: 80 Prozent der Beschäftigten zwischen 35 und 65 Lebensjahren haben Schlafprobleme. Psychische Störungen, Herzkreislauf- und Stoffwechselerkrankungen können die Folge sein.
Studien belegen eindeutig das hohe Unfallrisiko bei Schlafmangel und Schlafstörungen im Straßenverkehr und am Arbeitsplatz. Gerade im Urlaubsreiseverkehr sind die Risiken für Unfälle durch oft verkürzten Nachtschlaf und langer Fahrdauer besonders hoch, betonte der Schlafforscher.
Wer weniger als vier Stunden schläft, erhöht sein Unfallrisiko auf das 11,5 fache. Nach Angaben des HUK-Verbands geht jeder vierte Unfalltote auf Autobahnen auf Sekundenschlaf am Steuer zurück. Das Risiko für tödliche Unfälle ist deutlich höher als beim Fahren unter Alkohol. Fakten, die zum zum Nachdenken anregen sollten.
Aktion Sekundenschlaf
Der DVR hat den Sekundenschlaf am Steuer zu einem Schwerpunkt erhoben. Anna-Sophie Börries unterstrich noch einmal die Gefahr der Müdigkeit beim Autofahren. Nach einer aktuellen Umfrage ist jeder vierte Autofahrer schon einmal am Steuer eingenickt. Die Anzeichen von Müdigkeit sind vielen bekannt – häufiges Gähnen, brennende Augen, nachlassen der Konzentration.
Trotzdem überschätzen noch immer viele ihre Fähigkeiten. Sie glauben, Müdigkeit durch Erfahrung auszugleichen und den Zeitpunkt des Einschlafens vorhersehen zu können. Viele sind überzeugt, das herunter gedrehte Fenster, koffeinhaltige Getränke und laute Musik könne ihre Müdigkeit überwinden. Doch weder durch langjährige Erfahrung noch durch derartige Tricks kann die Einschlafgefahr langfristig gebannt werden, sagte Börries.
Treten Müdigkeitserscheinungen auf, sollte sofort eine Pause eingelegt werden. Am besten ist, einen Kurzschlaf von 20 bis 20 Minuten mit Bewegung zur Kreislaufaktivierung zu verbinden.
Der DVR hat zu diesem Unfallschwerpunkt eine große Aktion ins Leben gerufen – die Kampagne „Vorsicht Sekundenschlaf!“. Sie will alle Verkehrsteilnehmer für die Gefahren von Müdigkeit am Steuer sensibilisieren und konkrete Maßnahmen aufzeigen.
Ältere im Straßenverkehr
Immer wieder wird in der Bevölkerung diskutiert, ob ältere Menschen erneut einen Führerscheintest machen sollten. Die Mehrheit ist dafür, der Verkehrsminister dagegen.
„Sind die Alten wirklich ein Problem?“. Dieses Thema behandelte der Mediziner Dr. Manfred Gogol von der Klinik für Geriatrie in Coppenbrügge. Er legte dar, welche Einflüsse Krankheiten, körperliche Einschränkungen und Medikamente auf die Verkehrssicherheit älterer Menschen haben.
Die Mobilität mit eigenem Auto gerade auch im Alter selbst bestimmen zu können, erhöht die Lebensqualität, ist besonders auf dem Lande, aber auch in den Städten für jeden sehr wichtig.
12 Prozent älterer Menschen sind in Deutschland an Unfällen beteiligt. Gemessen an ihrem Anteil in der Bevölkerung ist das nicht besonders auffällig, liegt unter dem Durchschnitt. Erst ab einem Alter von über 75 Jahren steigt das Unfallrisiko deutlich an. In Stressmomenten, bei unübersichtlichen Verkehrssituationen, Wendemanövern, Rückwärtsfahren und Missachtung der Vorfahrt geschehen die häufigsten Unfälle. Das hat seine Ursache im Nachlassen der Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und eingeschränkter Beweglichkeit. Sehen und Hören verschlechtern sich ebenfalls. Deshalb sind regelmäßige Gesundheitschecks angeraten, um die Fahrtüchtigkeit zu überprüfen, betonte Dr. Gogol. Vor Fahrantritt sollte außerdem beachtet werden, dass manche Medikamente die Fahrfähigkeit beeinträchtigen.
Eine bessere Verkehrs- und Umgebungsgestaltung mit weniger Reizüberflutung ist für den Arzt ein weiterer wichtiger Faktor, das Unfallrisiko zu senken. Er empfiehlt beim Autokauf auch bestimmte elektronische Systeme – wie die automatische Abstandsregelung – zu nutzen.
Auf seine Anfangsfrage gibt er eine klare Antwort: „Die Alten sind überwiegend kein Problem. Schwierig ist allerdings, die heraus zu finden, die durch ihre angeschlagene Gesundheit ein echtes Risiko in sich tragen“.
„Die heimlichen Helfer“
Schon seit langem wird in der Autoindustrie an technischen Hilfen gearbeitet, die tödliche Verkehrsunfälle weitgehend vermeiden können. Wie heute schon die Fahrzeugtechnik den Autofahrern bei widrigen Witterungsbedingungen, körperlichen Einschränkungen und Müdigkeit hilfreich zur Seite steht, sprach Dr. Stefan Brosig vom Volkswagenkonzern.
Er ist der Auffassung: „ Die Zahl der getöteten und Schwerverletzten könnte um 90 Prozent gesenkt werden, wenn alle PKW umfassend mit den heute schon angebotenen Sicherheitstechniken ausgestattet wären“. Von diesen heimlichen Helfern gibt es schon viele.
So hilft der Spurhalteassistent, nicht von der Fahrbahn abzuweichen. Da bietet das Umfeldbeobachtungssystem „Front Assist“ die Möglichkeit der Notbremsung.
Da warnt ein ausgeklügeltes System rechtzeitig vor der Gefahr des Einschlafens. Da reagiert der „Emergency Assist“ bei einem medizinischen Notfall des Fahrers und steuert das Fahrzeug automatisch auf den Seitenstreifen.
Entspanntes fahren bei Nacht ermöglicht der „Dynamik Light Assist“. Je nach Situation schaltet er das Licht selbsttätig, blendet auf oder ab.
Nützlich sind auch die vielen Einparkhilfen – das automatische Parksystem und die Rückfahrkamera. Relativ neu ist das System „Area View“. Es ermöglicht einen Rundumblick, lässt Hindernisse leichter erkennen.
Die Fahrerassistenzsysteme bieten nicht nur mehr Komfort. Sie können vor allem Gefahren frühzeitig erfassen, den Fahrer rechtzeitig warnen und – wenn nötig – das Fahren automatisch beeinflussen.
In Zukunft soll es, ähnlich wie im Flugzeug, auch einen Auto-Piloten geben. Daran wird heute schon intensiv gearbeitet.
Die fortschreitende Automation in der Fahrzeugtechnik wird den Menschen weiter entlasten, aber nicht ersetzen, betonte Dr. Brosig. Er trägt für ein unfallfreies Fahren auch künftig die Verantwortung.
Text und Fotos:
Manfred Vieweg für reisegala.de