I’m dreaming of a white christmas – eine weiße Weihnacht ist in weiten Teilen Norwegens kein Traum, sondern jährliche Realität. Kalte Dezembertage, knirschender Schnee, Kerzen in den Fenstern, über die Straßen gespannte Lichterketten. Brennende Fackeln vor den Eingängen von öffentlichen Gebäuden und Restaurants leuchten im nordischen Dämmerlicht und vor glitzerndem Weiß. Winterwonderland.
Wenn es im Dezember kalt und die Natur fast monochrom ist, füllen die Norweger ihre Häuser mit Farben und Licht. Sie kaufen blühende Topfpflanzen, Hyazinthen, Tulpen und Amaryllis, unangefochtener Favorit ist der Weihnachtstern. Jahr für Jahr werden fast so viele verkauft wie das Land Einwohner hat. Selbstverständlich brennen in den dunklen Monaten jede Menge Kerzen – allerdings nicht am Baum! Das ist zu gefährlich, die meisten Häuser in Norwegen sind aus Holz. Natürlich gehören Plätzchen zur Adventszeit und Weihnachten. Sieben Sorten sollen gebacken werden, nicht mehr und nicht weniger, darüber, welche das sind, herrscht allerdings keine Einigkeit. Wer nicht selbst backen mag, kann in den Supermärkten und Konditoreien erheblich mehr als nur sieben Sorten kaufen.
Das Luciafest am 13. Dezember ist eine schwedische Tradition. Es wird zwar seit einigen Jahren auch hier und da in Norwegen gefeiert, spielt aber keine große Rolle. Vielleicht wird es damit gehen wie mit dem Adventskranz, der erst vor einigen Jahrzehnten »einwanderte«, jetzt aber recht verbreitet ist, oder dem Adventskalender, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs üblich ist. Beide stammen aus Deutschland, ebenso wie der Brauch, einen geschmückten Nadelbaum im Haus aufzustellen. Er gehört seit dem 19. Jahrhundert zur norwegischen Weihnacht, kaum jemand vermutet heute, dass es ihn nicht »schon immer« gab. Der Baum ist selbstverständlicher Mittelpunkt nahezu jedes Weihnachtszimmers, früher sogar im eigentlichen Wortsinn: Er stand in der Mitte des Raumes, denn es war üblich, dass sich am Heiligabend alle Anwesenden an den Händen fassten, im Kreis um den Christbaum gingen und Weihnachtslieder sangen. Heute tut man das nur noch in Schulen und bei einem juletrefest – dazu später mehr.
Traditionell hingen an einem norwegischen Weihnachtsbaum sogenannte Weihnachtskörbchen (julekurver), die die Kinder des Hauses aus weißen und roten Glanzpapierstreifen flochten, sowie rot-weiß-blaue Fähnchenketten. Beides hat stark an Popularität eingebüßt, aber ein kransekake (Kranzkuchen) genanntes Mandelgebäck, das es zu allen Festtagen, also auch Weihnachten gibt, wird immer noch mit norwegischen Papierfähnchen geschmückt.
Christianisierung hin, Christianisierung her, in den skandinavischen Ländern hat das große Mittwinterfest seinen heidnischen Namen jul behalten. Der kommt nämlich von hjul, Rad, das Symbol der immer wiederkehrenden Sonne, das heidnische Wintersonnenwendfest hieß Jol. Übrigens spielt auch Lucia auf die Wiederkehr des Lichts an, der Name ist abgeleitet von lux, dem lateinischen Wort für Licht. Die dunkelste Zeit des Jahres galt überall in Europa als gefährlich, böse Geister waren unterwegs, deren Einfluss und Unheil mussten mit mancherlei magischen Handlungen abgewendet werden. Wichtige Helfer hierbei waren und sind die nisse. Sie haben einen weißen Bart, tragen Joppe und Kniebundhosen, Stiefel sowie eine rote Mütze mit einem langen Zipfel. Kommt Ihnen das irgendwie bekannt vor? Stimmt! Ein skandinavischer Wichtel hat tatsächlich eine frappierende Ähnlichkeit mit unseren Gartenzwergen. Früher lebten nisse auf Bauernhöfen oder nahebei und wachten über Menschen, Tiere, kurz, den ganzen Hof. Dafür erwarten diese kleinen, freundlichen Hausgeister (nicht zu verwechseln mit den großen und heimtückischen Trollen!) nur einen Dank: Man muss ihnen an Heiligabend ein Schälchen Milchreis hinstellen. Das tun heute noch viele Norweger, auch wenn sie keinen Bauernhof haben oder gar in der Stadt wohnen. Es könnte doch wahr sein, dass man sonst von seinen guten Geistern verlassen wird.
Der Brauch, an Weihnachten Reisbrei mit Zimt und Zucker zu essen, ist allen nordischen Ländern gemeinsam und Jahrhunderte alt. Er entstand zu einer Zeit, als nahezu alle Zutaten ein Luxus waren: Reis und Zimt waren importiert und mussten, wie der Zucker, gekauft werden, wobei Geld meist knapp war. Jeder Bauernhof hatte frische Milch und Butter, aber auch die gab es nicht im Überfluss. Reisbrei war eine Kostbarkeit, den Wichteln davon etwas abzugeben, bedeutete also ein echtes Opfer. In Norwegen sind die kleinen Kerle unlösbar mit Weihnachten verbunden, auf Weihnachtskarten und Geschenkpapier, Baumschmuck und Tischdekorationen wimmelt es förmlich von putzigen nisse. Um Verwirrungen vorzubeugen: Der Weihnachtsmann heißt zwar julenisse, gehört aber nicht zur engen Familie der nisse – also Wichtel. Was insofern bemerkenswert ist, als nisse auf den Männernamen Nils zurückgeht, und der ist eine skandinavische Kurzform von Nikolaus… Der einzig echte, einzig wahre Weihnachtsmann wohnt übrigens nicht unter dem magischen Nordlicht (und schon gar nicht in Ländern wie Finnland, Grönland oder Schweden!), sondern in Drøbak, einem malerischen Städtchen etwa 35 Kilometer südlich von Oslo. Dort ist er unter folgender Adresse zu erreichen:
Julenissens Postkontor
Torget 4
N – 1440 DRØBAK
oder (der Julenisse ist schließlich nicht von gestern) per E-Mail:
info@julehus.no
In der dortigen Touristeninformation gibt es eine ständige Ausstellung von Briefen, die Kinder aus der ganzen Welt an den Weihnachtsmann geschrieben haben. Schulen und Kindergärten, aber auch einige größere Firmen organisieren in der Adventszeit, zwischen den Jahren oder Anfang Januar das juletrefest. Das ist ein Fest für kleine Kinder, an dem sie Kuchen essen, spielen und singend um den geschmückten Baum gehen. Abschluss und Höhepunkt ist der Besuch des Weihnachtsmanns, der für jedes Kind ein Geschenk dabei hat.
Der 23. Dezember heißt lille julaften – kleiner Heiligabend. Früher war das der Tag für das Großreinemachen, heute wird an diesem Tag der Baum geschmückt, vor allem aber werden
ein letztes Mal die Geschäfte gestürmt. Wie überall, wo Weihnachten gefeiert wird, sind Essen und Trinken auch in Norwegen sehr wichtig. Eine uralte, angeblich bis ins 10. Jahrhundert nachweisbare Tradition ist das Juleøl, das Weihnachtsbier. Lange war das Brauen Teil der heimischen Weihnachtsvorbereitungen, heute liefern die Brauereien das dunkle Starkbier, und zwar Jahr für Jahr mit neuer Rezeptur. Auch den hochprozentigen Kartoffelschnaps Aquavit gibt es mit jährlich wechselnden Geschmacksvarianten. Wenn wir uns gleich den Weihnachtsgerichten zuwenden, werden Sie verstehen, dass man ohne diesen Juleakevitt nur schwer über die Festtage kommt. Kinder freuen sich über Julebrus, eine sehr, sehr rote Limonade.
Nun also zum Essen: Verschiedene Regionen haben unterschiedliche Weihnachtsessen, sie stammen, wie es sich für Traditionen gehört, aus Urgroßmutters Küche. Konkret heißt das zunächst einmal, dass sie fett und kohlenhydratreich sind, denn Urgroßmutter kochte für Menschen, die bei großer Kälte harte körperliche Arbeit verrichteten. Ab Mitte November bieten praktisch alle Restaurants landauf, landab ein Weihnachtsbuffet namens julebord an, zu denen sich Kollegen, Vereine und Freundeskreise treffen. Die Buffets bündeln die regionalen Traditionen und fahren bis zu 60 verschiedene Gerichten auf: Schweine- und Hammelkoteletts, Fleischwurst, Fleischklößchen, Schweinebauch, süßsaures Sauerkraut mit Kümmel, mehrere Sorten eingelegte Heringe, kompakte Kartoffelklöße, orangefarbenes Steckrübenmus und mattgrünes Erbspüree. Darüber werden Ströme von ausgelassenem Speck gegossen. Die Desserts sind selbstverständlich auch keine Diätkost, der wunderbare Karamellpudding beispielsweise enthält (für sechs Personen) einen Liter Sahne und acht Eier. Das alles schmeckt großartig und bestärkt die guten Vorsätze, ab Januar konsequent abzunehmen.
Privat geht es nicht ganz so üppig zu. In den Familien gibt es am Heiligabend, julaften, und am ersten Feiertag meist jedes Jahr das Gleiche. Das kann svineribbe sein, ja, das sind Schweinerippchen, oder pinnekjøtt – Reisigfleisch. Der Name verrät nicht, dass es sich um gepökelte Lammrippchen handelt, wohl aber, dass das Fleisch über Birkenreisig geräuchert
wird. An der südnorwegischen Küste wird frischer Dorsch mit Salzkartoffeln serviert. Ebenfalls aus dem Meer, allerdings mit einigen Umwegen, kommt lutefisk – Laugenfisch – auf den Weihnachtstisch. Der wesentliche Teil des Umwegs ist ein mehrtägiges Bad in einer Ätznatronlauge, an dem so zubereiteten, etwas glibberigen Trockenfisch scheiden sich die Geister sofort und unversöhnlich.
Die Heiligabend-Gottesdienste sind sehr gut besucht, es ist üblich, vor oder nach der Kirche Blumen und Kerzen auf die Gräber zu stellen. Dann geht es nach Hause, zu Festessen und Bescherung im Kreise der engsten Familie. Für viele gibt es davor feste „Fernsehtermine“, ohne die sie sich Weihnachten nicht vorstellen können. Am 23. Dezember „müssen“ sieben von zehn Norwegern den kurzen Film Grevinnen og hovmesteren (Die Gräfin und der Oberkellner) sehen. Er ist in Deutschland bestens bekannt, hier „muss“ man ihn an Sylvester sehen; es handelt um Dinner for one. Der erste „Pflichttermine“ am Heiligabend ist gegen Mittag der tschechische Kinderfilm Drei Haselnüsse für Aschenbrödel, auch er ein fester Bestandteil des deutschen Feiertagsprogramms. Um 17 Uhr läuten alle Kirchenglocken, im Fernsehen beginnt das Weihnachtskonzert Die Silberjungen singen Weihnachten ein. Die berühmten Sølvguttene sind der Knabenchor der staatliche Rundfunkgesellschaft NRK, man könnte sie als die Osloer Sängerknaben bezeichnen. Ein wichtiges Lied ihres Repertoires heißt (übersetzt) »An Heiligabend bin ich immer froh«. Das wünschen wir Ihnen auch! God Jul
Quellennachweis: Innovation Norway