Nachdem wir bereits herausgefunden haben, dass Sachsen-Anhalt “Echt schön” und “Echt aktiv” ist, durften wir es dieses Mal “Echt kulturvoll” erleben. Auf Einladung der Investitions- und Marketinggesellschaft Sachsen-Anhalt mbH konnten wir so erkunden, welche kulturellen Highlights sich hier verstecken oder auch offen zeigen: Mit den “sechs Staunenswerten” sind immerhin auch sechs UNESCO-Welterbe-Stätte vor Ort, die Groß und Klein zum Entdecken und Staunen einladen. Auf unserer Reise können wir gleich vier davon zumindest teilweise erkunden und reisen dabei sogar bequem und nachhaltig mit der Bahn.
Wittenberg: Die Spuren Martin Luthers verbinden Geschichte, Kunst und Krimi
Bereits unsere Unterbringung in der Cranach-Herberge in Wittenberg ist geschichtsträchtig. Der historische Cranach-Hof aus dem 16. Jahrhundert war die Wohnstätte der Malerfamilie Cranach, die nicht nur Wittenberg, sondern die Kunst im gesamten Mitteldeutschland prägte. Bei der Restaurierung wurde darauf geachtet, möglichst keine Interpretationen einzuarbeiten, sondern auf Authentizität zu achten. Auf dem Weg zu dem Hotelzimmer tritt man in so ein kleines Treppenhaus mit einer steinernen Wendeltreppe. Im ersten Stock befindet sich zum Teil der originale Holzfußboden aus der Zeit, der natürlich restauriert wurde. Hier wird nicht “auf alt gemacht”; Wo nicht das passende Mobiliar vorzufinden war, stehen moderne Möbel. Für uns ist diese Unterbringung natürlich umso bequemer. Auch die Räume mit hohen Decken sind eher groß, anders als man es von modernen Hotels gewohnt ist. Wer günstig, aber zentral gelegen in Wittenberg unterkommen möchte, ist hier genau richtig. Nur sollte man gut zu Fuß sein; die steinerne Wendeltreppe sowie die verwinkelte Bauweise mit einzelnen Stufen, auch innerhalb eines Stockwerks, machen es sonst unter Umständen in solch einem historischen Bauwerk schwer.
Der Cranach-Hof besteht jedoch aus mehr als nur der Herberge. Hier gibt es eine Hofwirtschaft, in der man sehr gut essen gehen kann, eine historische Druckerstube, eine Jugendkunstschule und noch einiges mehr. Verwunderlich ist das nicht: Lucas Cranach (1472 – 1553) war Hofmaler Friedrichs des Weisen und auch Katharina von Bora lebte hier in der Zeit vor ihrer Hochzeit. Direkt an der Herberge lässt sich auch gut eine Erkundungstour durch Wittenberg starten, am Marktplatz, auf dem auch Statuen von Martin Luther und Philipp Melanchthon zu finden sind. Wittenberg ist gemeinsam mit Eisleben Teil des UNESCO-Welterbes Luthergedenkstätten.
Auf Erkundungstour durch die Straßen Wittenbergs fallen um jede Ecke historische Details auf; Nicht nur die Fassaden der Häuser erinnern an alte Zeiten. So findet man beispielsweise Hinweisschilder auf die alten Röhrwasserbrunnen, die die Stadt über natürliche Gefälle mit frischem und sauberem Trinkwasser versorgten. Auf dem Markt stand ein solcher Brunnen sogar den mittellosen Menschen zur Verfügung. Unser Stadtführer Erhard Grodnick versorgt uns auf unserem Weg durch die Stadt mit allerhand interessanten Informationen, doch selbst wer ohne Ziel und Plan durch Wittenberg läuft und die Augen offen hält, wird am Ende eine Fülle an historischen Details erfahren haben. Für die genauere Einordnung in die Geschichte lohnt sich ein Stadtführer allerdings – andernfalls droht einem, die Flut an Informationen zu erschlagen.
Vorbei an allerlei kleinen Geschäften trifft man hier auf eine Alte Lateinschule, die zum Teil sogar auf Latein beschriftet wurde (glücklicherweise aber mit Übersetzung), auf die Alte Universität Leucorea (“leucos oros” ist griechisch für “Weißer Berg”, daher “Wittenberg”), auf die Stadtkirche St. Marien und die Schlosskirche und auch auf das Wohnhaus Melanchthons. Eine Fülle an Details und Besonderheiten könnten wir hier auflisten, doch letztendlich lohnt es sich mehr, selbst nach Wittenberg zu fahren und in die Geschichte einzutauchen. Wir möchten uns an dieser Stelle auf einige wenige Highlights fokussieren, damit Sie einen Überblick gewinnen können.
“Luther 2017” – ein Panorama Yadegar Asisis zeigt Wittenberg Tag und Nacht
Die Kunst in Wittenberg endete nicht mit der Cranach-Familie, sie lebt noch heute. Yadegar Asisi hat Geschichte und Kunst mithilfe von Fotografie, Malerei, Bildbearbeitung, Licht- und Tontechnik miteinander vereint. Das Ergebnis ist ein 360 Grad Panorama, das den Besucher inmitten der Menschen vor 500 Jahren stehen lässt. Die zweistöckige Aussichtsplattform in der Mitte des Panoramas ist hierbei notwendig; Anders ließen sich niemals sämtliche Details entdecken, die hier liebevoll eingebettet wurden. Doch muss man tatsächlich mehrere Minuten an einer Stelle stehen, um alle Details wahrnehmen zu können: Tag und Nacht wechseln sich hier ab, untermalt von Musik und einer Geräuschkulisse, die das Gesamterlebnis abrundet. Im Fokus des Ganzen steht Martin Luther, der mehrfach zu sehen ist. Neben dem Streit um Ablassbriefe oder der Anbringung der Thesen an der Schlosskirche werden hier historisch korrekt allerdings auch die “dunklen Seiten” Luthers und seiner Zeitgenossen gezeigt, beispielsweise die Vertreibung jüdischer Mitbürger aus den Städten oder Hexenverbrennungen.
Kulturvoll mal anders am Tatort 1522: Ein Escape-Room für jedes Alter
Kultur und Krimi finden in Wittenberg zueinander. Zum 500. Jubiläum des “Septembertestaments” Martin Luthers hat die Stiftung Luthergedenkstätten einen Escape-Room “Tatort 1522 – Das Escapespiel zur Lutherbibel” eröffnet. Auf den Spuren Martin Luthers gibt es hier fünf Räume, die erforscht und gelöst werden können. Konzipiert wurde das Ganze beispielsweise für Schulklassen, die man auf die verschiedenen Räume aufteilen kann. Problemlos können sich hier allerdings auch kleinere Gruppen etwa anderthalb Stunden auf eine Reise durch die Zeit begeben, um die fünf Rätsel in einem der Räume zu lösen, den Code zu knacken und die Tür zu öffnen. Schnell packt uns hier der Ehrgeiz, doch zu viel verraten möchten wir Ihnen auch nicht; Immerhin haben Sie selbst noch bis Juli 2023 die Möglichkeit, sich der Herausforderung zu stellen. Im Vorfeld sollte man sich allerdings online Tickets buchen.
Das Lutherhaus: Das Wohnhaus Luthers zeugt von seinen Lebensumständen
Zunächst ein Kloster der Augustinereremiten, später das Wohnhaus Luthers, heute ein Museum. Ob Luthers Kanzel, eine originale Ablasstruhe oder schlicht und ergreifend die Wohnstube Luthers und ein Blick in seine Lebensumstände: Hier werden Sie fündig. Wussten Sie beispielsweise, dass nicht nur Luther und seine Familie hier wohnten, sondern beispielsweise auch Studenten? Gemälde von Kurfürsten und Professoren zeugen im großen Hörsaal von alten Zeiten, in der Schlafkammer können Sie alte Bilder Cranachs bewundern und sich in die Zeit zurückversetzen, in denen eine entlaufene Nonne und ein ehemaliger Mönch im kleinen Kreis heirateten, um einen Skandal zu vermeiden.
Auch in linguistischer Hinsicht hat Wittenberg allerdings viel zu bieten: Wir lernen hier, dass Luther Worte wie “baufällig”, “eigenwillig”, oder ganze Phrasen wie “einem das Herz stehlen” oder “ein Herz und eine Seele” erst erfand. Ganz andere Einblicke in Kultur und Geschichte sammeln wir allerdings an unserem nächsten Zielort: Im Gartenreich Dessau-Wörlitz.
Die Kunst im Detail des Gartenreichs entdecken
Als wir das UNESCO-Welterbe Gartenreich Dessau-Wörlitz betreten, ist Schloss Wörlitz mit das erste, was uns in den Blick fällt. Ob bei Nebel oder Sonnenschein (Wir haben das Glück, das Schloss in beiden Wetterlagen sehen zu können), durch die weitläufige Rasenfläche haben wir einen guten Blick darauf. Wo andere Schlösser und Herrensitze in ihren Parks auf üppige Blumenbeete und Springbrunnen setzen, wirkt die Landschaftsgestaltung hier sehr natürlich. Wäre es möglich, dass ein Gebäude wie ein Baum aus dem Boden wächst und ganz natürlich in die Umgebung einfügt, so wäre es dieses Schloss. Auch Goethe erkannte dies und fertigte eine Zeichnung an.
Im Jahr 2023 feiert das Schloss seinen 250. Geburtstag. Leopold III. Friedrich Franz Fürst von Anhalt-Dessau (1740–1817) ließ es als ersten klassizistischen Bau in einer Parkanlage in Deutschland nach englischem Vorbild errichten. Eine Besonderheit war, dass es sich um ein offenes Schloss und einen offenen Park handelte; Auch der einfache Bürger konnte, sofern er die Zeit dazu fand, hier ein und aus gehen. Das stieß wohl bei den Frauen und Geliebten des Fürsten, die sich etwas mehr Privatsphäre gewünscht hätten, nicht immer auf Begeisterung.
Das Schloss bildet allerdings nur einen kleinen Teil des Gartenreichs. Der Fürst unternahm mehrere Reisen nach England und später nach Italien, von wo er Inspirationen und Erinnerungen mitnahm. Beispielsweise finden Sie hier eine Nachbildung des Vesuvs, dessen Original Fürst Franz mehrmals bestieg. Seine Nachbildung muss zu seiner Zeit eine wahre Sensation gewesen sein: Durch eine Nebelmaschine und ein Strohfeuer im “Vesuv” konnte ein Ausbruch des Vulkans simuliert werden. Unter dem “Vesuv” verlaufen dazu mehrere Gänge, die zu unterschiedlichen Grotten führen und die die damaligen Ausgrabungen rund um den Vesuv nachstellen sollen.
Doch das wahre Highlight des Gartenreichs Dessau Wörlitz liegt meiner Ansicht nach nicht in einem einzelnen Gebäude oder Nachbau, nicht im Vesuv, dem Schloss, der “Villa Hamilton”, der vor den Nationalsozialisten geretteten Synagoge, den Darstellungen der vielen römischen Gottheiten oder den “Ausgrabungsstätten” unter dem Vulkan. Das wahre Highlight besteht im Detail, in den vielen Verbindungen zwischen den verschiedenen Dingen. So befindet sich beispielsweise direkt unter dem “Vesuv” eine Grotte, in der eine römische Göttin aus dem Wasser steigt; Eine Darstellung der Venus, die Gattin des Götterschmieds Vulcanus, der widerum seine Schmiede unter einem Vulkan besitzen soll. Besteigt man den Vesuv hingegen, hat man durch verschiedene Bäume und Bepflanzungen einen guten Blick auf eine schmiedeeiserne Brücke – kein Zufall, sondern nur eines von vielen Details, die es zu entdecken gilt. Sicher kann man hier auch einfach eine Runde durch den Park wandern, sich auf einer der Bänke kurz verschnaufen und die Natur genießen; Der wahre Entdeckergeist wird hier allerdings belohnt.
Von einem weiteren UNESCO-Welterbe erhaschen wir lediglich einen flüchtigen Eindruck: Das Wirken der Kunst- und Gestaltungsschule Bauhaus ist in Dessau allgegenwärtig. Wir nehmen ein leckeres Mittagessen im Kornhaus ein, das 1930 durch den Architekt Carl Flieger gebaut wurde und sehen vom Bus aus einige weitere architektonische Werke, die belegen, wie sehr Bauhaus noch heute die Architektur prägt. Unser Weg führt uns allerdings weiter nach Halle. Erster Halt: Die Franckeschen Stiftungen.
Franckesche Stiftungen: Schon heute staunenswert, morgen vielleicht auch Welterbe
August Hermann Francke, Gründer der Franckeschen Stiftungen, begann sein Lebenswerk quasi ohne Eigenkapital. Dennoch gelang es ihm, Förderer für sein Vorhaben zu gewinnen und 1698 zunächst ein Waisenhaus, später auch Schulen und Werkstätten zu errichten. Auf diese Weise wurden die Stiftungen mehr und mehr zum Selbstversorger. Der Komplex war seinerzeit einzigartig: Unabhängig vom sozialen Status konnten Kinder hier ein mehrgliedriges Schulsystem durchlaufen. Anhand von verschiedenen Dokumenten, Zeitzeugen-Berichten und Tagebüchern lassen sich viele Details rekonstruieren. Auch die dunklen Seiten werden aufgearbeitet, wie etwa unwillige Schüler, die in den Karzer, die Arrestzelle, gesteckt wurden.
Was sehen wir heute auf dem Gelände der Franckeschen Stiftungen? Mehrere Schulen und Universitätsgebäude setzen die Tradition der Bildung fort. Bei einem Gang über den ehemaligen Schulhof klingt Musik aus offenen Fenstern, wo offenbar Unterricht erteilt wird. Das Waisenhaus ist heute teilweise ein Museum, hier lässt sich im ehemaligen Schlafsaal für Knaben auch eine Wunderkammer entdecken, anhand derer den Schulkindern die Welt erklärt wurde. Das ausgestopfte Krokodil, das heute von der Decke hängt, muss damals ein wirkliches Highlight gewesen sein. Etwa 3.000 Objekte, die in den Schränken mit dazu passender originaler Bemalung zur Schau gestellt werden, sollten die Vielfalt göttlicher Schöpfung vermitteln.
“Die Macht der Emotionen” – Gefühle sichtbar gemacht
Im ersten Stock des ehemaligen Waisenhauses finden sich regelmäßig Jahresausstellungen. Zur Zeit wird hier “Die Macht der Emotionen” gezeigt, die sich an Kinder und Jugendliche richtet. Doch wie werden Emotionen erlebbar und zur Reflexion angeregt? Keine einfache Aufgabenstellung. Ob über das “Emo-Meter”, das Glücksrad oder Anregungen zur Rekonstruktion von Gefühlen über den Tag bis hin zu einem Raum, in dem man sich über Gefühle austauschen kann, hier wurden verschiedenste Möglichkeiten wahrgenommen, um Emotionen und ihre Rolle im Alltag zu verdeutlichen.
Führung durch das Charlottenviertel: Gottesacker und Wappenmythen
Bei einer Führung durch das Charlottenviertel von Halle gibt es viel zu sehen. Unser Stadtführer berichtet uns, dass Halle derzeit die größte Stadt Sachsen-Anhalts ist, obwohl es nur etwa 1.000 Einwohner vor Magdeburg liegt. Auch hier gibt es wohl mehr zu erzählen, als sich in einem Bericht schreiben lässt. Man muss Halle schon selbst besuchen und auf sich wirken lassen. Die Stadt, die sehr durch die Erzbischöfe von Magdeburg geprägt wurde, verfügt nur noch über einen der ehemals 40 Türme der Stadtmauer. Der “Gottesacker”, ein ehemaliger Seuchenfriedhof, der 1529 geweiht wurde, gilt als Meisterwerk der Renaissance. In der Mauer befinden sich nach innen gerichtete Arkaden, in denen weitere Gräber liegen. Bei unserer Ankunft ist der Friedhof allerdings leider bereits geschlossen.
Ohne kundige Führung durch die Stadt wird man hier allerdings das eine oder andere verpassen, beispielsweise die drei Geschichten, woher das Stadtwappen von Halle stammt. Abgebildet ist darauf ein Stern, der in einem nach oben geöffneten Halbmond liegt, mit einem weiteren Stern darunter. Auf dem Weg über den Hansaring erfährt man so allerhand über Gegenwart und Vergangenheit der Stadt.
Wie üblich gibt es viel mehr zu sehen, als man in unserer begrenzten Zeit in Halle entdecken kann. Ein Abstecher in die älteste Schokoladenfabrik Deutschlands ergibt sich beispielsweise leider nicht, doch dafür konnten wir ein anderes Highlight entdecken: Die Oper von Halle.
Backstage im Ballett
Ein Opernhaus ist für gewöhnlich schon von außen beeindruckend, so auch hier. Im Inneren haben wir sogar die Möglichkeit, die Hauptprobe eines Balletts zu sehen – noch vor der Premiere. Doch was alles hinter einer einzelnen Aufführung steckt, wie viele Akteure zusammenarbeiten, wie aufwendig die Vorbereitungen und Proben sind, um das zu verstehen, muss man einmal hinter die Kulissen gehen und selbst bestaunen, was vor sich geht. Auf der Ballettetage lagern derzeit etwa 1.500 Kostüme. Besonders interessant ist beispielsweise die Maske. Von jedem der Tänzer gibt es hier einen Gipsabdruck des Gesichts, damit detailgetreu beispielsweise die Perücken geknüpft werden können. Zwischen 40 und 50 Stunden benötigt man für eine Perücke – wie lange mögen dann erst die komplizierteren Stücke wie Echsenköpfe und ähnliches brauchen? Jeder Maskenbildner hat hier seinen eigenen Tisch, an dem die Masken für die 19 Tänzer fertiggestellt werden.
Der Ballettsaal, in dem täglich sieben bis acht Stunden trainiert und geprobt wird, sieht genauso aus, wie man ihn sich vorstellt: Eine große Spiegelwand auf der einen Seite, Holzgeländer an allen Wänden, in einer Ecke steht ein Klavier. In einer etwa 300 Quadratmeter großen Werkstatt entstehen die Requisiten. Insgesamt finden sich etwa 60 Berufe unter dem Dach des Opernhauses.
Vom Ballett aus geht es für uns zu einem Abendessen in das gefragte Restaurant Roots. Wie auf vergangenen Reisen nach Sachsen-Anhalt übernachten wir im zentral gelegenen Dorint Hotel Charlottenhof, das auch fußläufig zu erreichen ist.
Landesmuseum für Vorgeschichte: Das Leben in grauer Vorzeit und ein UNESCO-Welterbe
Im Landesmuseum für Vorgeschichte gibt es mehr als “nur” das nächste UNESCO-Welterbe zu sehen. Das Konzept des Museums an sich überzeugt bereits. Es ist das erste Museum in Deutschland überhaupt, das ausschließlich auf Archäologie fokussiert ist. Hier wird allerdings mehr getan, als ein paar alte Vasen auszustellen, die irgendwann einmal ausgegraben wurden, dazu ein paar Informationen, die nur die wenigsten interessieren. Stattdessen wird eine Geschichte erzählt, die dazu einlädt, mehr zu erforschen, von der Altsteinzeit bis in die frühe Neuzeit. Informationen über Teile der Ausstellung zieht der Besucher erst selbst aus verschiedenen Schubladen.
Wussten Sie beispielsweise, dass Neandertaler nur etwa drei Stunden pro Tag für die Nahrungssuche brauchten, für die sie nicht mehr hätten machen müssen, als Hirsche zu jagen und Wurzeln zu sammeln? Stattdessen jagten sie auch weitaus gefährlichere Tiere wie etwa Auerochsen – warum sie das taten, ist leider nicht bekannt. Und warum fanden Homo Sapiens zu der gleichen Zeit Gefallen an Höhlenmalerei, doch die Neandertaler nicht? Das Museum kann nicht alle Fragen beantworten, doch es regt dazu an, sich erst viele Fragen zu stellen. Hier könnte man gut und gerne mehrere Tage verbringen und jeden Tag einen anderen Ausstellungsteil genauestens unter die Lupe nehmen.
So beispielsweise auch ein Skelett aus der Mittelsteinzeit: Was im Nationalsozialismus für einen weißen Mann erklärt wurde, ist heute mit Hilfe modernerer Untersuchungsmethoden als dunkelhäutige Frau identifiziert worden, die mutmaßlich Schamanin war. Eine Fehlbildung am Hinterkopf weist darauf hin, dass die Blutzufuhr ins Gehirn gehemmt wurde, wenn sie den Kopf schief legte, was den Eindruck einer “Seelenreise” vermittelt haben könnte. Vor etwa 9.000 Jahren wurde die Frau bestattet, gemeinsam mit einem Säugling. Aus den folgenden Jahren und Jahrhunderten konnten weitere Gegenstände geborgen werden, die vermutlich als Opfergaben an ihrer Grabstätte abgelegt wurden – Auch Jahrhunderte später scheinen Geschichten über diese Frau noch Bestand gehabt zu haben. Ein Buch über diese Dame, “Das Rätsel der Schamanin”, wurde vor kurzem zum Spiegel-Bestseller.
In einem stark abgedunkelten Raum leuchtet das, was vielleicht als Herzstück des Museums gelten kann: Die Himmelsscheibe von Nebra. Neben einer spannenden Fundgeschichte inklusive verdeckter Polizeiermittlungen und spurlosem Verschwinden dank Flucht ins Ausland, bildet die Himmelsscheibe die weltweit älteste Abbildung astronomischer Phänomene. Wann genau sie hergestellt wurde, ist nicht bekannt, möglicherweise jedoch bereits im 18. Jahrhundert vor Christus. Vergraben wurde sie allerdings etwa 1.600 vor Christus – ein Sensationsfund, der einiges über den Wissensstand und die Lebensumstände der Menschen vor Jahrtausenden erklärt, aber auch neue Rätsel aufgibt.
Obwohl man wieder Tage bräuchte, um alle Einzelheiten des Museums zu erkunden, müssen wir uns wieder auf den Weg begeben. Entlang der “Grünen Lunge“ von Halle werden wir erneut durch die Stadt geführt und bestaunen zwischendurch den Volkspark und hören die Geschichte der Straßenbahn. Im Restaurant “Felsenpavillon” genießen wir noch ein letztes gemeinsames Mittagessen mit Blick auf die Saale. Unterhalten werden wir hierbei von Hallelore Salzig, Halles kleinster Stadtführerin, die viel Humor und sogar eine Gesangseinlage mitbringt, bevor wir uns wieder auf die Rückreise machen müssen.
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Autorin: Amei Schüttler